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Probeproduktionen im Schloßtheater

Probeproduktion im Schlosstheater in Český Krumlov, Aufnahme aus dem Jahre 1998 Mit den voranschreitenden Arbeiten an der Erneuerung des Schloßtheaters erwägt die Stiftung des Barocktheaters des Schlosses Český Krumlov verstärkt die Möglichkeiten seiner weiteren Nutzung. Schon heute steht fest, daß das Schloßtheater in Český Krumlov einer der wenigen Orte auf der Welt sein wird, wo man im originalen Barockmilieu das Theaterrepertoire des 17. und 18. Jahrhunderts wird studieren und realisieren können unter Benutzung sämtlicher zeitgenössischer Interpretationsverfahren. Die Stiftung bemüht sich also nicht nur um die Erneuerung des Gebäudes und seiner Einrichtung, sondern sie würde gern die einzigartige Gelegenheit des Kennenlernens und Wiederbelebens des Phänomens der barocken Theaterkultur nutzen. Die technischen und stilistischen Voraussetzungen des einzigartigen und komplett erhaltenen Barocktheaters erklären so auf natürliche Weise die kompromißlose Neigung der Stiftung zur sog. authentischen Interpretation der Barockoper, also zu einer Interpretation, die scheinbar veraltete Musikinstrumente, zeitgenössische vokale und instrumentale Techniken und auch die Barockregie und Inszenierungsverfahren inklusive der Bewegung, Mimik und Gestik der Sänger zur Geltung bringt. Die Stiftung des Barocktheaters versammelt schon eine längere Zeit eine Gruppe von jungen Interpreten - Instrumentalisten und Sängern, vereint im Ensemble "Cappella Accademica" - die sich gerade die Aufführung der stilgerechten Barockoper als Ziel gesetzt haben.

Im Sommer 1995 leitete die Stiftung des Barocktheaters in Zusammenarbeit mit dem Institut für Denkmalpflege in České Budějovice, dem Ensemble Cappella Accademica und dem Ensemble der Schloßtheatermaschinisten regelmäßige Betriebsproben im Schloßtheater ein. Diese zu Anfang völlig nichtöffentlichen Vorstellungen entwickelten sich nach und nach zu kleinen Probeproduktionen, bei welchen Fachleute, bedeutende Besucher oder Sponsoren der Stiftung des Barocktheaters kurze Auszüge aus Barockopern zu sehen bekommen können.

Probeproduktion im Schlosstheater in Český Krumlov, Aufnahme aus dem Orchesterraum

Das, was einer solchen kleinen Theaterproduktion vorausgeht und auch dann darauf folgt, kann man als Forschungstätigkeit bezeichnen - als Suche nach Antworten auf Fragen, betreffend zum Beispiel die Beleuchtung, die Toneffekte, die Auswahl der Kostüme, des Schminkens, die Nutzung von szenischen Effekten, die Synchronisierung des Auswechselns der Bühnenbilder u.ä. Wenn die Antwort gefunden ist, folgt ihre Bestätigung und das Ausprobieren direkt im Raum des Barocktheaters. Dann kommen Stunden, Tage, Monate und auch Jahre von Arbeit, die dazu notwendig sind, damit sich die Interpreten das Können aneignen, das schon mehr als zweihundert Jahre vergessen war.

Ein solches Verfahren gilt auch für das Gebiet des zeitgenössischen schauspielerischen Ausdrucks, der sich prinzipiell vom heutigen schauspielerischen Ausdruck unterscheidet. Im Unterschied zu der modernen, größtenteils realistischen Auffassung basierte der barocke schauspielerische Stil darauf, daß jeder Affekt und sein Wechseln unterstützt wurde von der geeigneten Körperhaltung, dem Ausdruck des Antlitzes und der Gestik. Jedwede naturalistische Verbildlichung des realen menschlichen Benehmens oder menschlicher Tätigkeit wurde als ungeeignet angesehen und als wenig künstlerisch. Die Sänger und Schauspieler wurden dazu erzogen,

Schloss Český Krumlov, Probeproduktion im Schlosstheater - Auftritt des Ensembles Cappella Accademica, August 1999, Foto: Libor Sváček

daß sie anschaulich und möglichst expressiv den Inhalt des Textes vorführten und so auf die Gefühle der Zuseher wirkten mit derselben Kraft, mit welcher noch heute auf uns die angespannten Posen der barocken Statuen, Statuengruppen und Bilder wirken. Dazu diente der allgemein akzeptierte Kodex von Positionen und Bewegungen, die unmittelbar vom Publikum aufgenommen und miterlebt wurden - diese schauspielerische Kunst konnte oft wirksamer sein als der Text und die Musik, so daß "auch der Taube verstehen könnte, worum es sich handelte und sämtliche Emotionen miterleben konnte", wie wir in den zeitgenössischen Beschreibungen berühmter Schauspieler oder Sänger lesen können. (Heute ist leider diese Bewegungslehre vielen zeitgenössischen Regisseuren insoweit fremd, daß sie lieber alle möglichen Aktionen erfinden im Bemühen die Barockarien "zu beleben", wobei sie allerdings völlig gegen deren Inhalt handeln).

Wenn wir uns die Interpretationspraxis der Opernvorstellung des 18. Jahrhunderts aneignen wollen, reicht es bei weitem nicht aus, nur den zeitgenössischen schauspielerischen und sängerischen Stil zu studieren, sondern man muß eine ganze Reihe von anderen Elementen eingliedern, wie zum Beispiel die Frage der zeitgenössischen gesellschaftlichen Konventionen, der Hofetikette, der Mode und der ästhetischen Ansichten überhaupt. Eine umfassende Vorstellung können wir nicht aus einer einzigen historischen Quelle gewinnen, sondern es ist notwendig, so viel wie möglich scheinbar mit dem Thema nicht zusammenhängende Quellen zu versammeln (zeitgenössische Traktate, Briefe, Memoiren, Kritiken und selbstverständlich Ikonographien).

Probeproduktion im Schlosstheater in Český Krumlov, Aufnahme aus dem Jahre 1998

Für alle beteiligten Interpreten und Forscher ist aber vor allem die Tatsache grundlegend, daß sie ihre bisherigen theoretischen Erkenntnisse direkt im authentischen Milieu überprüfen können. Das bedeutet für sie nicht nur einen großen Schritt vorwärts in der Bemühung, die Problematik des barocken Bühnenausdruckes in breitesten Zusammenhängen zu begreifen, sondern auch einen ständigen Appell zum weiteren Studium.

(om)